Montag, 3. Dezember 2012

Kollektiv Bern – Bewegung in der freien Szene!

„Es stellt sich nicht die Frage, wer wir sind. Wir sind ja schon! Wir haben bereits je unsere Ausrichtungen und unsere Projekte. Klar, wir sind alle verschieden, aber ich glaube, die Tatsache, dass wir uns zusammen an einen Tisch gesetzt haben, zeigt, dass wir an einer gemeinsamen Sache interessiert sind.“; wirft Chri Frautschi1 in die Runde. Es ist ein Montagabend anfangs November. Zwei Gartentische in leeren, ehemaligen Fabrikationsräumen dienen als Besprechungsmobiliar. Zuvor gab’s Spaghetti und erste Weinflecken auf den Tischen.

In Stadt und Kanton Bern existieren seit vielen Jahren zahlreiche kuratorische sowie künstlerische Projekte der freien Szene, die sich teilweise nomadisierend, teilweise mit festem Raum um das Ausstellen, Vermitteln und Verhandeln zeitgenössischer Kunstproduktion kümmern. Von einzelnen AkteurInnen initiiert und eigenständig verwaltet, werden diese Off-Spaces/-Projekte ehrenamtlich betrieben und orientieren sich nicht am kommerziellen Erfolg. Ein fest etabliertes Netzwerk, das die jeweiligen Berner Projekte verbindet, bestand bisher nicht. Franz Krähenbühl2 fügt deshalb an: „Es ist ein wichtiger Schritt, dass wir uns nun bereits zum zweiten Mal treffen und diskutieren. Diese Richtung müssen wir weiterverfolgen, um auch die inhaltlichen Themen behandeln zu können.“ Einen Monat zuvor kamen verschiedene Projektverantwortliche in einem Atelier in den Berner Vidmarhallen zusammen um sich ungezwungen auszutauschen. Wie kann man besser untereinander kommunizieren? Welche Kanäle können für mehr öffentliche Sichtbarkeit genutzt werden? Und nicht zuletzt, wie positioniert man sich kulturpolitisch? Für die Beteiligten wurde klar, dass ein Kollektiv gegründet werden soll. Regelmässige Treffen und intensiver Austausch über alltägliche und praktische Anliegen institutionalisiert die Solidarität untereinander. Daniel Suter3 entgegnet: „Ich möchte aber einen Schritt weiter gehen: Ich bin wegen einer Notwendigkeit hier, ich habe beispielsweise keine Lust, eine neue Kulturagenda zu gründen. Aus meiner Sicht hat es kulturpolitische Gründe. Sachen müssen inhaltlich verändert werden.“

Das Kulturfördergesetz vom 1. Januar 2012 verschob Kompetenzen vom Bundesamt für Kultur hin zur Pro Helvetia. Aus politischen, bzw. finanziellen Gründen strich man dabei sämtliche nationale Jahresgelder an die Kunsträume der freien Szene. Als Folge dieser Entscheidung ist die Existenz der Non-Profit-Initiativen ernsthaft gefährdet. Mit dem Online-Blog „CHARTA 2016“ machten verschiedene Kunsträume aus der ganzen Schweiz auf die Dringlichkeit des Handlungsbedarfs aufmerksam. Erfreulicherweise gibt es gewisse Alternativen auf lokaler Ebene. So reservierte die Kunstkommission der Stadt Bern aufgrund der hohen Anzahl von Gesuchsanträgen dieses Jahr zum zweiten Mal einen Teil ihrer Fördergelder speziell nur für Offspaces. Allerdings reicht der gesprochene Betrag von 20'000 CHF bei weitem nicht aus, die zahlreichen Initiativen in ihrer Existenz zu sichern. Darum wollen die nicht-institutionellen Kunsträume weiterhin gegen ihre stiefmütterliche Behandlung vorgehen. Juliane Wolski4 meint: „Wir möchten die Leute dafür sensibilisieren, was es hier alles an Engagement gibt. Es soll klar werden, dass wir mit unseren Aktivitäten einen erheblichen Beitrag für eine lebendige Kunstszene leisten. Vor diesem Hintergrund wird es auch einfacher sein, sich politisch zu engagieren und für das, was wir machen, Unterstützung zu erhalten.“ Der Zusammenschluss in das Kollektiv Bern soll die Sichtbarkeit der einzelnen Projekte erhöhen und die Relevanz auf kulturpolitischem Parkett verstärken.

Doch wird eine solche Relevanz – als Kriterium für die Sprechung der Subventionsbeiträge – oftmals einer Quantifizierung unterworfen und dadurch nicht zuletzt in Relation zu Besucherzahlen und klar umrissenen Jahresprogrammen gesetzt. Gerade für die freie Szene würde eine derartige Rechnung den Genickbruch bedeuten.¨ Darum: Das Kollektiv Bern ist Kulturpolitik, aber nicht nur. „Ich hoffe auch auf eine physische Erfahrung, wo wir den Fragen nach Artikulationsformen zeitgenössischer Kunstvermittlung abseits der Lobbyarbeit in einer gemeinsamen Praxis nachgehen“, so Daniel Suter. Die kollektive Energie wird nicht bloss mit fanfarischen Protest-Aktionen verpufft, sondern das Subventions-Vakuum soll produktiv genutzt werden. Gemeinsame Sache machen heisst demnach auch, gemeinschaftliche Projekte zu lancieren. Selbstorganisation ist seit jeher eine Strategie der Offspaces und stellt den Nährboden für progressive Formen der Kunstvermittlung und Alternativen zum kanonisierten Display dar. Allerdings führt das Agieren ausserhalb des institutionalisierten Terrains häufig zu prekären Arbeitsbedingungen. Diese aber in Zeiten einer zunehmend kommerzialisierten Kunstwelt durch mangelnde Subventionierung aufrecht zu erhalten, ist definitiv nicht im Sinne einer fortschrittlichen Kulturpolitik. Eine verstrickte Lage, die umso mehr eine Haltung erfordert. Franz Krähenbühl: „Primär geht es uns um die Kunst. Nicht um Bar, nicht um Party, sondern um die Kunst. Das ist ein extrem inhaltliches und politisches Statement.“

Von Gabriel Flückiger und Sarah Merten
Illustration: Eva-Maria Knüsel

Facbeook Kollektiv Bern

Kollektiv Bern

1 Lokal-int hat zum Ziel mit schnellem Ausstellungsrhythmus und minimalem Budget zu bewegen, zu hinterfragen und zu beleben. Es versteht sich als Keimzelle für eine lebendige Kunst. // Chri Frautschi, lokal-int, Hugistrasse 3, 2501 Biel-Bienne

2 Im multidisziplinären Projekt Transform treffen sich Kunstschaffende aus verschiedenen Gattungen, um sich vor und mit dem Ort sowie den anderen Beteiligten auseinanderzusetzen. Der Raum wird zum Aktionsraum, in welchem dem Prozess und der Entwicklung einer Arbeit mehr Bedeutung eingeräumt wird, als dem finalen Produkt. // Franz Krähenbühl und Sibylle Heiniger, Transform, Güterstrasse 8, 3013 Bern

3 Marks Blond Project R.f.z.K. versteht sich als Probebühne, Plattform für Neues, Unentdecktes und Unangepasstes, das die Grenzen der Genres überschreitet. Man will politisch sein, und auf die Strasse hinausragen, heraus aus der Begrenzung des Raumes. Im Vordergrund steht immer der Prozess und die daraus erwachsende Begegnung und Kommunikation. // Daniel Suter und Johannes Lortz, marksblond

4 Grand Palais zeigt aktuelle, meist junge, ortsspezifische, projekthafte und prozessbezogene Kunst, welche von etablierten Kunstinstitutionen und Galerien weniger oder gar nicht berücksichtigt wird. Das Grand Palais dient als Plattform, um Kunst an ihrem Entstehungsort zu erleben, zu diskutieren und dadurch an ihr teilzuhaben. // Juliane Wolski, Grand Palais, Thunstrasse 3, 3005 Bern

Weitere Mitglieder des Kollektiv Bern:

[balk] ist eine Serie von künstlerischen Interventionen, welche gestaffelt an mehreren Balkonen eines Wohnblocks an der Bahnlinie kurz vor dem Bahnhof Bern stattfinden. Die Interventionen verstehen sich als Hinterfragung des spezifischen Ortes und seiner Rezeptionsbedingungen. // Gabriel Flückiger, [balk], Bahnhofseinfahrt Bern Ost

NOMAD ist eine Plattform für ortspezifische Kunst im öffentlichen Raum. Im Rahmen von NOMAD finden an ständig wechselnden Orten temporäre Interventionen statt, die neue Perspektiven auf die bespielten Orte und die Arbeit der eingeladenen KünstlerInnen eröffnen. // Alain Jenzer, NOMAD

Projekt Da versteht den Raum als Form, Kollektivprozesse als Konzept. Wir sind Künstler und wollen mit Künstlern arbeiten. // Ines Schärer und Ramon Feller,  Projekt Da

Das Lehrerzimmer ist ein in Bern einzigartiger Kunstbuch-Raum mit Café, Bar und einfacher Küche – ein Ort für lebendige Diskussion. Er vereint eine unkonventionelle Buchhandlung für zeitgenössische Kunst mit Veranstaltungen sowie einer Galerie-/Ausstellungsfläche. // Maia Gusberti und Daria Gusberti, Lehrerzimmer, PROGR-Zentrum, 3011 Bern

RAUM № ist ein nicht kommerzielles, nomadisches Ausstellungsprojekt für zeitgenössische Kunst. RAUM № manifestiert sich mit wechselnden Ausstellungskonzepten und KünstlerInnenbeteiligungen und hat dabei den Anspruch, jeweils innerhalb eines temporären Rahmens einen unmittelbaren und unkomplizierten Zugang zu Kunst zu ermöglichen. // Ba Berger, Andreas Wagner und Tobias Rechsteiner, RAUM №

Reading Room ist eine künstlerisch-kuratorische Reihe, welche einen Rahmen schafft für Praktiken und Diskurse, die das Verhältnis von Kunst und Politik untersuchen. Eingeladen werden Künstler und Wissenschaftler, die durch Projektpräsentationen, Gespräche, Lecture-Performances, Workshops oder Kurz-Ausstellungen in Innen- und Außenräumen ihre Arbeit vorstellen // Andreas Egli und Anabel Sarabi, Reading Room

weissbrotmüller verstehen sich als Produzenten von Ausstellungen, die jeweils ein Thema, eine Beobachtung oder eine Idee konzentriert aufgreifen und an verschiedenen Orten räumlich umsetzen. Sie sind Initianten von off/center - freie plattform für kunst und kuratorische praxis, die ab 2013 in Zusammenarbeit mit der visarte.bern und der Stiftung Progr 2-4 Ausschreibungen pro Jahr für Ausstellungsprojekte von Künstlern oder Kuratoren organisiert. // Kate Whitebread und Dominik Müller, weissbrotmüller

Sowie Marc Munter