Donnerstag, 15. November 2012

Depression oder Glücksfall?

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Als Mitglied des Corner College-Teams, das einen selbst-organisierten Kunstraum betreibt, stelle ich zurzeit einen Widerspruch fest- Die Streichung der „Eidgenössischen Preise für innovative Kunsträume“ hat einerseits dazu geführt, dass ich die in den vergangenen Jahren geschaffenen Strukturen unseres Raums ernsthaft finanziell gefährdet sind. Die Einnahmen des Corner Colleges haben sich innerhalb eines Jahres um mehr als dreissig Prozent reduziert. Dazugekommen sind auch noch die Kürzungen des Migros-Kulturprozent aufgrund geringer Gewinne Dank dem verstärkten Wettbewerb der Discounter, sodass wir 2013 vor der Situation stehen, nur noch unsere Türen aufschliessen zu können. Elektrizität, Wasser, Miete und Internetkosten sind bezahlt. Sorry liebe Kunstschaffende, Theoretiker und Interessierte, mehr liegt bei der derzeitigen finanziellen Perspektive für 2013 nicht drin.

Die Streichung hat aber anderseits auch dazu geführt, dass eine grosse Zahl von selbst-organisierten Räumen aufgeschrien haben, verärgert über diese kurzsichtige Umstrukturierungspolitik beim Bundesamt für Kultur und Pro Helvetia. Dieser Aufschrei ist ein erstes Zeichen des Widerstands. Bei schwerwiegenden Problemen gibt man allerdings nie auf, sondern man läuft man erst Recht zu Höchstform auf. Man befindet sich sozusagen in einem gesteigerten Arbeitsmodus, der einen dazu bringt, politisch aktiv zu werden und für seine Anliegen an die Öffentlichkeit zu treten.

Mit einem gewissen Anflug an Zynismus kann man dem kulturpolitischen Kahlschlag also auch Positives abgewinnen. Wir Betroffene haben uns zusammengeschlossen, weil wir es nicht ertragen können, das ausgerechnet wir, die wir unbezahlt und von Idealismus getrieben, nun der einfältigen (man muss das einfach so sagen) Umstrukturierungs-/Sparpolitik zum Opfer gefallen sind. Und es kommt wie immer noch dicker. Während in Zürich Millionen in den Galerienkomplex Löwenbräu investiert wurde und die nächsten Millioneninvestitionen für das Kunsthaus wohl folgen werden, dürfen wir im selbst-organisierten Strukturen darüber nachdenken, wie wir unsere leeren Räumen mit No-Budget-Programmen füllen dürfen. Das frustriert und macht wütend, denn für selbst-organisierte Strukturen fehlt zurzeit der politische und amtliche Wille, Veränderungen herbeizuführen. Wir aber werden Forderungen stellen, die uns ein menschenwürdiges Arbeiten ermöglichen, die uns ein wenig mehr Sicherheit bieten und uns wieder sinnvolle Programme machen lässt. Es brodelt – zumindest bei mir – weiterhin heftig. Es sind einige Aktionen und Vorstösse geplant.

Inzwischen kommt doch auf einen Kaffee bei einem der selbst-organisierten Kunsträume vorbei. Kaffeehäuser galten bevor Starbucks kam als Debattierhäuser. Starten wir eine Debatte über Kulturpolitik, die zum Beispiel so aussehen könnte:

Für selbst-organisierte Kunsträume muss die Eidgenossenschaft, sei es das Bundesamt für Kultur, Pro Helvetia, die zuständigen Kantone und die Städte/Gemeinden endlich eine adäquate Förderung bereitstellen, die „nachhaltige“ Strukturen schafft. Unsere Arbeit, die sehr oft von Pro Helvetia für ihre Netzwerk-Arbeit in Anspruch genommen wird, muss finanziell unterstützt werden, auch wenn im Raum kein von Pro Helvetia unterstütztes Projekt stattfindet (oder noch nie stattgefunden hat). Nachwuchsförderung ist von enormer Relevanz. Künstlerinnen und Künstler erhalten in selbst-organisierten Kunsträumen Raum für Experimente, die sie in einem kommerziellen und auf Publikumszahlen orientierten Haus nicht bekämen. Wenn die grossen Häuser massiv finanziell unterstützt werden, darf man die kleinen Räume nicht vergessen.

Letztlich gilt es festzuhalten: Ideen spriessen dort, wo die Pfade noch nicht ausgetrampelt sind. Die Kleinheit von Kunsträumen ist nicht gleichbedeutend mit Marginalität von Ideen, sondern kleine und flexible Strukturen sind der Beginn von jeder Form von Kultur, die es verdient finanziell unterstützt zu werden.

Stefan Wagner, Corner College Zürich


PS: In England hat man dies bereits erkannt. Wer mehr dazu erfahren will, findet bei Common Practice mehr Informationen. Dort kann man auch die Studie Size Matters anklicken, die einem über die Qualität und Quantität von kleinen Kunsträumen Auskunft gibt.